Taktisch hat sich der Ansatz schon elementar vom MSV unter Gruev unterschieden. Nicht nur formativ, sondern auch in der Deckungsart. Gruev hat immer sehr ball- und raumorientiert verteidigt. Heute haben wir stark mannorientiert verteidigt.
Das erste Ziel war es das spielstarke Zentrum von Köln zu schließen. Dafür wurde die Formation von Köln (4-1-4-1) durch unserer 4-4-2-Raute gespiegelt, so dass jeder einen direkten Gegenspieler hatte und wir im Zentrum eine 4:3-Überzahl. Nur zwei Feldspieler von Köln ließ man frei. Das waren deren Außenverteidiger. Die zwei Spieler, die dadurch bei uns "über" waren nahm man einmal, um Fröde als so eine Art Libero/Abfangjäger hinter unserem offensiven Mittelfeld aufzustellen und einmal, um Terodde zu doppeln.
Somit lenkte man das Kölner Aufbauspiel immer wieder auf die freien Außenverteidiger. Dort, wo Köln den Ball aber gar nicht haben möchte. Im Gegenteil. Köln möchte eigentlich die Halbräume bespielen. Aber da kamen sie kaum hin, weil der spielgestaltende Sechser Höger von Taschchy aus dem Spiel genommen wurde und die beiden Achter auch eng gedeckt wurden.
Aus den engen Manndeckungen ergaben sich auch immer wieder Ballgewinne. Die Konter aus diesen Ballgewinnen funktionierten deswegen so gut, weil wir a) eine hohe Präsenz durch die zwei Stürmer und den Zehner hatten und b) weil die Raute prinzipbedingt schon eine optimale Dreiecksstruktur hat.
Trotzdem barg der ganze Ansatz natürlich eine gewisse Gefahr, weil man a) relativ unkompakt war und b) jedes verloren 1:1-Duell die Unkompaktheit sofort bestrafte und Räume öffnete. Man kam ja nicht ins doppeln. Köln konnte das aber selten nutzen, weil sie in Halbzeit 1 viel zu lasch und fehlerbehaftet gespielt haben und in Halbzeit 2 ihre Chancen nicht nutzten. Zudem stellte Lieberknecht dann auf Raumdeckung um, als Anfang die zwei Stürmer brachte, erst 4-2-3-1, dann 5-4-1.
Insgesamt ist Lieberknecht taktisch schon ein hohes Risiko gegangen. Aber wenn es klappt, hat er natürlich alles richtig gemacht. Taktisch scheint er grundsätzlich variabler und anpassungsfreudiger als Gruev zu sein (was jetzt erstmal keine Wertung darstellt, den Gruev war lange mit seinen festen Abläufen sehr erfolgreich).
Trotzdem war das Spiel heute aus taktischer Sicht die absolute Ausnahme. Es gibt in der 2.Liga nicht viele Teams, die so zentrums- und strukturfokussiert wie Köln spielen (was das Spiel in gewisser Weise "planbar" macht). Zudem hat Köln den Anspruch das Spiel zu machen. Und gegen den Ball einen Plan zu entwerfen ist viel leichter als mit Ball. Den Gefallen, das Spiel über Flachpass von hinten raus gestalten zu wollen, werden uns die wenigsten Mannschaften in der zweiten Liga machen. Damit will ich die Leistung von heute nicht klein reden. Ich möchte nur vor zu viel Euphorie warnen (so nach dem Motto wer beim Tabellführer gewinnt, wird den Rest auch schlagen).
Die Attribute mit denen wir heute erfolgreich waren, sind klasse umgesetzt worden, aber sie werden alleine nicht reichen, um die Klasse zu halten. Der Großteil der Arbeit kommt noch. Lieberknecht muss jetzt in den 2 Wochen Länderspielpause auch am Ballbesitzspiel arbeiten. Dabei kann er natürlich auch auf Elemente von Gruev zurückgreifen. Muss er aber nicht

Ich bin auf jeden Fall gespannt, was er sich ausgedacht hat und was wir gegen St.Pauli zu sehen bekommen. Heute hat er auf jeden Fall schon mal eine dicke Überraschung aus dem Hut gezaubert, auch für Freunde der Taktik....