Meine Irrfahrt nach Glatzbach
Es begann mit der Information : fahr nie mit dem Auto nach Gladbach, die Chancen, dort in weniger als 90 Minuten nach dem Spiel wegzukommen, gehen gegen null.
Also lass ich mich da von einem Kollegen, Glatzbach-Fan, aber sonst wie ein ganz normaler Mensch aussehend, zum Bahnhof Oberbarmen lotsen. Von hier, verheißt mir der Gute, käme ich abends am besten wieder in die Heimat. So weit so gut. Der Bahnhof Oberbarmen enttäuscht dann insofern, als dass der erste Zug gleich ohne weitere Kommentare, geschweige denn Entschuldigungen, ausfällt. Immerhin kommt der nächste, wenn auch mit 20 Minuten Verspätung. Die ersten 45 Minuten haben wir also schon mal in den Teich gesetzt. Dennoch, relativ schnell erreichen wir jetzt diesen Ort da, den man ohne zwingende Not wohl kaum aufsucht: Glatzbach. Hier unterläuft mir der nächste Fehler. Veranbschiede mich von meinem Gladbach - erfahrenen Kollegen und schließe mich einer Horde Duisburger an, deren Sprecher vollmundig verkündigt, ich müsse mit ihnen über Rheydt fahren, weil sich die Shuttlebusse direkt in die MSV- Ecke begäben. Das, aber besonders das MSV- Trikot des Sprechers, überzeugt, sogar etwas mehr als sein Träger, der wohl schon so einiges gekübelt zu haben scheint. Dank des guten Rates des Gesinnungsgenossen verbringen wir die nächsten 30 Minuten in der dunklen Unterführung des Rheydter Bahnhofs, zusammen mit gefühlten 1000 Glatzbach- Fans. Zum Glück erweisen sich alle als friedlich, ja, freundlich.
Gut, nach einer weiteren Viertelstunde hat man uns endlich in einen der Shuttlebusse gedrängt, von denen wir bis dahin schon 10 überfüllte passieren lassen mussten. Nun beginnt eine weitere Sternfahrt. Besorgt frage ich mich, wo ich denn hier eigentlich bin. Ist das noch Deutschland? Zu meiner grenzenlosen Erleichterung wird diese meine Frage von Glatzbacher Insidern positiv beschieden. "Da, da ist schon das Stadion", ermutigt ein weiterer sogar. Ich schaue aus dem Fenster- direkt auf einen imposanten Kartoffelacker. Heimatliche Gefühle wallen auf, ist ja fast wie daheim. Wenn nur diese völlig skurrile Gegend da nicht wäre. Schlimmer können die neu erbauten Stadienlandschaften bei der WM in Südafrika auch nicht aussehen. Ich sehe Straßengewirr, das sich in unfertige, brutal überbaute und schon jetzt im Verkehrskollaps erstickende Landschaft drängt.
Endlich die Befreiung. Wir sind angeblich am Stadion. Nachdem ich meine Brille geputzt habe, lässt sich das tatsächlich irgendwo da in der Baulandschaft vermuten. Wir drehen noch eine Ehrenrunde um diese seltsame Schüssel, da man uns dankenswerterweise den Haupteingang zur Süd vor der Nase zumacht.
Dann endlich drin in dem Bau, der von innen tatsächlich Ähnlichkeit mit einer Fußballarena hat. Der Sitzplatz direkt an der Plexiglaswand zu unseren Leuten ist von mir nach Anweisung des Ordners stantepe einzunehmen. Ich darf nicht, wie erhofft, dem Match im Stehen beiwohnen. Okay, immerhin ist der Platz okay und man steht sowieso fast nur, weil, und das ist das Überraschende, in der Folgezeit eine Angriffswelle nach der anderen auf das Glatzbacher Tor, hinter dem wir zunächst sitzen, rollt.
Dennoch, in mein Schicksal gefügt, das mir sagt, nur keine Blamage heute, sitze ich da und erwarte den nicht zu vermeidenden Niedergang. Der stellt sich aber gar nicht ein und es sind schon 30 Minuten gespielt. Auch zur Halbzeit, ich glaube es kaum, prangt das 0:0 auf der Anzeigetafel. Naja, ich kenne meinen MSV, nach der Pause werden die wohl einknicken. Nach 60 Minuten schaue ich wieder auf die Anzeigetafel. Immer noch kein Gegentor! Im Gegenteil, unsere Jungs sind taufrisch, schalten geschickt um und ich habe doch tatsächlich bei fast jedem unserer schnell vorgetragenen Angriffe das Gefühl: da kann was gehen.
80 Minuten gespielt. Unser Trainer, dieser Teufelskerl, holt noch zwei Stürmer rein. Was hat der vor?
Was ist überhaupt mit dieser legendären Gladbacher Nordkurvenwand, die man mir vor dem Spiel als unvergessliches Ereignis angekündigt hat. Ist da was mit meinen Ohren, oder höre ich tatsächlich nur uns und sonst nichts ?
Einige albernen Hampeleien werden mir von diesen "Wunder-Fans" dann noch präsentiert, die bei mir nicht mehr als ein Kopfschütteln auslösen.
Das gibt Verlängerung, oh weia, das tut weh, erst in der Verlängerung und womöglich nach Elfmeterschießen hier wieder rauszufliegen, denke ich noch.
Da,
wieder ein schneller Konter, geschicktes Passspiel und -es ist wie in einem Andersen- Märchen- unser gleichnamiger schlenzt das Leder ins Netz!!!
WAHNSINN und unbändiger Jubel. Bierduschen noch und noch und bevor sich die Angst breitmacht, dass in der allerletzten Nachspielzeit ja doch wieder der Ausgleich fällt, pfeift der Unparteiische, der heute wirklich einmal nichts gegen uns hatte, ab!
Der Rest ist Freudentaumel und Abfeiern mit den Jungs pur.
Brutale Gladbacher Alltagsrealität dann erst wieder nach dem Spiel. Wo und wie steige ich denn jetzt in den richtigen einer dieser unzähligen Schüttelbusse ein? Im Dunkeln sieht hier alles noch chaotischer aus. So droht uns die erste Kiste schon nach Wegberg -Beek zu karren, bevor wir gerade noch wieder herausspringen können. Weitere 30 Minuten Warten in der Folgezeit, weil wir auf ein Großväterchen hereinfallen, dass uns den Abfahrort des Linienbusses zum Hauptbahnhof weist. Hier stehen wir dämlich geduldig, bis wir uns besinnen, dass wir ja einen Shuttlebus brauchen. Ausnahmsweise ist es diesmal ein Mitglied von Team green, das die erlösende Hilfe bringt. So sitzt man irgendwann dann doch wieder im Zug Richtung Wuppertal, das zur nachtschlafenden Zeit erreicht wird. Nach weiteren 30 Minuten finden wir unser Auto am Bahnhof, der sich zur Nacht und zudem von der rückwärtigen Seite, an dem wir ihn jetzt anlaufen, ganz anders präsentiert.
Noch den Oski nach Wermelskirchen bringen und ich stehe wirklich Punkt 01.00 Uhr vor der heimatlichen Hütte. Vier Stunden Schlaf noch und ich muss schon wieder auf Maloche.
Dort genieße ich die dummen Gesichter unser Glatzbacher, die aber fair bleiben und mir artig gratulieren. Einer meiner älteren Schüler war wohl aber doch zu frech gewesen gestern. Hatte satt was auf die 12 bekommen und erschien arg bandagiert. Duisburger Hooligans, meinte er... Naja, anderes Thema.
Jedenfalls, alle Strapazen nehme ich diesmal gern in Kauf für das Erlebnis endlich wieder das alte MSV- Gefühl gehabt zu haben.
Freitag Oberhausen, sachse?