Folgendes hat auf den ersten Blick vielleicht gar nichts mit der Fußball-Nationalmannschaft zu tun aber ich finde diese Entwicklung trotzdem erwähnenswert. Es geht um die Reform der Bundesjugendspiele (auch Sportfest genannt). Zitat:
"Die Reform sieht vor, dass die Leistungen der Schüler ab dem Schuljahr 2023/2024 nur noch als „Wettbewerb“ und nicht mehr als „Wettkampf“ bezeichnet werden. Konkret bedeutet das, dass die Ergebnisse nicht mehr nach einer für ganz Deutschland gültigen, festgelegten Punktetabelle ausgewertet werden. Stattdessen orientiert sich der Wettbewerb nur an den Leistungen der Kinder einer Schule aus derselben Jahrgangsstufe." So wird beispielsweise beim Weitsprung nicht mehr mit dem Maßband gemessen sondern die Grube in Zonen aufgeteilt, so dass es gleiche Punktzahlen für unterschiedliche Weiten geben wird.
Man will mit dieser Reform den "Leistungsdruck" von den Kindern nehmen. Es soll sich auch niemand mehr als "Verlierer" fühlen, weil er/sie vielleicht ein paar Zentimeter weniger weit gesprungen ist als andere Kinder. Ich persönlich halte diesen Ansatz für falsch, denn beim sportlichen Kräftemessen gehört es einfach dazu, dass man auch mal schlechter ist als andere oder umgekehrt auch mal ein paar Punkte mehr bekommt, wenn man weiter gesprungen ist, als die anderen.
Und es kann auch nicht schaden, zu lernen mit Niederlagen umzugehen. Im Gegenteil.
Um den Bogen zur N11 zu spannen: Dieses Prinzip des fehlenden Leistungsdrucks schadet meiner Meinung nach bereits im Kindesalter den künftigen Sportlern. Klar wird es immer Talente geben, die es mit Talent, Ehrgeiz und Trainingsfleiß bis zum Leitungssportler schaffen aber ich halte solche Reformen in der Summe trotzdem für hinderlich.
Da gibt es keinen Bogen zum Profifussball. Die alte deutsche Idee, dass nur Kampf und erbarmungslose Härte Leistung bringt, hat uns in Deutschland nur den Ruf eingetragen, ewige Rumpelfussballer zu sein. Zum Glück haben echte Könner, von Rahn und Dietz bis Beckenbauer und Klinsmann, Müller, Klose und Matthäus, Özil und Gündogan, im Endeffekt auch etwas gegen die alten Eisenfresser gestellt.
Ich hab in meiner Jugend nur zwei Jahre einen solchen Trainer gehabt. Die Furcht vor dem war noch da, wenn ich zehn Jahre später, mit 18, einen Fussballplatz betrat.
Die Bundesjugendspiele finden in einem Beschulungssystem statt, das schon von der Versagensfurcht und dem übersteigerten Konkurrenzdenken maximaler Helikoptereltern viel zu stark negativ beeinflusst wird. Es ist ganz richtig, zu versuchen, wenigstens im Schulsport für etwas Entspannung zu suchen.
Unser Schulsport leidet unter Lehrermangel, Ideenarmut und Kopfstärken, die jede Individuation per se verunmöglichen. Da motiviert nix dazu, Sport aus Lust und Laune, als beglückenden Ausgleich und neue Gruppenerfahrung zu erleben und vielleicht in sein Leben einzubeziehen.
Den "unmotivierbar" wirkenden Natinonalspielern, ob weiblich oder männlich, fehlt aber tatsächlich irgendwie das Gleiche wie den Schulsportkindern, die schon von Geburt an mit Unmengen stark gezuckerter Michprodukte zugeballert werden:
Sie kriegen keinen zureichenden Vertrauensvorschuss - und können deshalb auch nicht mit der Übernahme von Verantwortung zurückzahlen. Beides hängt nämlich unbedingt zusammen. Jeder kann das auch an der Jugend-Forscht-Haltung erkennen, die Heskamp und Ziegner bei unserem geliebten MSV installiert haben.
Es war auch die entscheidende Bedingung für das herrliche Aufpoppen des Jogiismus 2010 in Südafrika, nach dem fröhlichen Großexperimemt des nationalen Unverkrampftseins namens Sommermärchen. Die 56er WM, das Wunder von Bern, war ähnlich. Keiner erwartete irgendwas von unseren krassen Aussenseitern. 74 standen Beckenbauer, Müller, Overath und Breitner bei einer durch Jahre der Studentenunruhen und Baader/Meinhof stark irritierten Mehrheit der Bevölkerung unter chronischem Grumdverdacht einer zersetzenden, antiautoritären Gesinnung - erstrecht nach der Palastrevolte im Trainingslager, nach der Helmut Schön von Beckenbauer, Breitner und Overath erst bequatscht werden musste, als Nationaltrainer nicht sofort zurückzutreten.
90 war Beckenbauer ein absoluter Trainer-Aussenseiter, es gab Enthüllungsbücher und wieder Trainingslager-Intrigen. Der "Kaiser" blieb völlig vage, was taktische Festlegungen anging, kein Mensch ahnte, ob sich die wiedervereinigten Fussballer aus extrem unterschiedlichen Systemen verstehen oder an die Gurgel gehen würden.
2014 die Debatten um das Mittelfeld und den Aussenverteidiger, ob Klose fit werden würde, Schweini schon jenseits des Leistungszenites stehe. Löw schien sogar ausgebootet zu werden - wie 74 Schön!
Immer war, kurz gesagt, besonders viel Krise, bevor wir einen fetten Titel holten. Auch übrigens bei der EM mit Berti! Immer gab es Spieler, die ihren Instinkten vertrauten, sich gegenseitig den Respekt vermittelten, der von der Funktionärsebene und der chronisch überbesorgten deutschen Öffentlichkeit verweigert wurden. Ohne Vertrauensvorschuss kein Flow, ohne Flow keine Magie, ohne das alles keine sportlichen Triumphe.
Was wir gerade erleben ist das Gegenteil: Tuchel wertet seine Stammkräfte öffentlich ab, Völler wertet die Nachwuchs-Nationalspieler ab. Kahn wertete seinen Nagelsmann öffentlich ab, der als Trainer des Bayern-Blocks hohe Mitverantwortung für die Nationalmannschaft trägt. Neuendorf wertet alles ab, was nicht wie er mit frühem Haarsausfall geschlagen ist.
Und die Spieler?! Sind heutzutage schon seit frühester Jugend daran gewöhnt, dass Beraterverträge, für die ihre gestressten Eltern mit Wort und Tat sowie Geld einzustehen haben, das Fenster des eigenen Entscheidungsspielraumes maximal verkleinern und undurchlässig machen. Da soll trotzdem sogar noch zu wenig Druck auf dem Kessel sein?!
Tut mir leid, aber das genaue Gegenteil ist definitiv der Fall! Diese jungen, tollen, so hingebungsvoll leistungsbereiten Menschen, wie eben alle in dem Alter im Grunde sind, haben meist nie eine Chance gehabt, auch nur entfernt zu spüren, wie frei man sich nach einer ganz eigenverantwortlich getroffenen Entscheidung fühlt. Danach sehnen die sich mit jeder Faser ihrer gestählten Körper. Aber sie kriegen immer nur neue Kontostände, Vorgaben der Werbetreibenden und Verbände, Laktatwerte, Pressebriefings, Schiedsrichterbelehrungen und Geldanlage-Weiterbildungen. Und wenn sie mal Playstation zocken, kommt Herbergsvati Neuendorf - und schaltet pünktlich um 22 Uhr das Internet aus.