- Der Trainer Christoph Daum ist nach Köln zurückgekehrt. Er wird wie ein Heiland gefeiert - und findet das offensichtlich angemessen
Bernd Müllender
KÖLN. Er fuchtelt, er brüllt, gestikuliert, weist zurecht und wirft die Hände in die Luft. So und so, und nicht so oder so. Und weiter. Unterbricht kurz darauf wieder und hält ein Kurzreferat. Wortreich, wie sonst! Dazwischen auch mal ein Lob. Dann geht Christoph Daum auf und ab hinterm Tor, leicht humpelnd noch nach der Hüftgeschichte im Sommer, die Arme verschränkt hinterm Rücken, sichtbar unter Strom.
Noch weit in die Wälder rund ums Geißbockheim im idyllischen Kölner Stadtwald ist an diesem Freitag Morgen Daums markante, leicht heisere Tenorstimme zu hören. Manchmal steht er auch fast starr. Die Augen flitzen dann blitzartig umher und wollen jeden Punkt auf dem Platz gleichzeitig abgrasen. Auf seinem Sportanzug trägt Daum ein massives Gazi-Werbelogo. Das ist sein Privatsponsor. Gazi ist ein türkischer Joghurt-Hersteller. Gazi ist auch ein alter osmanischer Titel für Eroberer und Herrscher.
Rund 500 Fans sehen sich das Treiben des neuen FC-Trainers an. Endlich mal öffentliches Üben nach zwei Tagen Geheimtraining. Anfangs hatte Daum 80 Hütchen selbst aufgestellt. "Der iss sisch für die Drecksarbeit nich zu schad", kölnert einer. "Aber die Spieler müssen auch mental 200 Prozent geben", rechnet der Nachbar. Daum brüllt wieder: "GasgebenMehrFeuerPräsenzTempooooPassen".
"Er es widder do!", jubelt der Boulevard, Tag für Tag. Er ist wieder daheim. Vom Donner-Daum ist die Rede, vom Daum-Coup, von der "neuen Lichtgestalt" für die schwächelnde Elf, von der "Mission des Herzens". Kurz: von Daumagie.
Später einmal, also sehr bald, vielleicht schon im Mai 2009, wenn der Kapitän des 1. FC Köln nach dem Finale der Champions League inbrünstig die Trophäe in den Abendhimmel reckt, wird man sich zurückerinnern an den November 2006. Damals hatte alles angefangen. Damals war er nach über 16 Jahren zurückgekommen, der Retter, der Erlöser, zum damals darbenden Zweitligaclub.
Nur, wann genau die zweite Ära Christoph Daum zu Köln begann, weiß schon heute niemand mehr genau zu sagen.
Die Wiederkehr war ein brillant inszeniertes Salami-Comeback. Manche werden einmal sagen, die neue Ära begann schon, zumindest verborgen in Daums großem FC-Herzen, bei der bizarren Krankenhaus-Pressekonferenz am 11. 11., live im Fernsehen übertragen, umgeben von Kranken am Venentropf. Auch wenn er da noch voreilig Nein sagte, wegen der Gesundheit nach seiner Hals-OP, assistiert vom mahnenden Chefarzt. Begann alles mit der ersten Eilmeldung vom Sinneswandel am 18. 11.? Oder mit der Bekanntgabe der Unterschrift am 19. 11.? Sein Ja gab der Vielsprecher Daum übrigens nicht selbst kund, sondern verwies auf seinen Anwalt. Manager Michael Maier bestätigte die Verträge dann.
Oder zählt der vergangene Samstag, als Christoph Daum, 53, unangekündigt im FC-Trainingscamp in Herzogenaurach auftauchte, die Spieler bei Ehre und Gewissen einvernahm? Oder - entscheidend is aufm Platz - als die Mannschaft am Tag darauf in Fürth, mit ihm und all seiner Aura auf der Tribüne, 2:1 siegte, von groteskem Glück begünstigt, wie alle Augenzeugen sagen? Dann gälte als Beginn des Daumianischen Kalenders Sonntag der 26. 11. 2006, Uhrzeit Abpfiff 15 Uhr 49 und 51 Sekunden. Manager Maier ließ jedenfalls wissen, dieser erste Sieg nach acht Wochen erfolgloser Düsternis werde fürderhin Daums "magischen Fähigkeiten zugeschrieben".
Oder hat doch der Kölner Stadt-Anzeiger mit der Vermutung recht, Daum sei immer da gewesen, nur eine längere Zwischenzeit "physisch abwesend" seit seinem Rauswurf im Sommer 1990? Zweimal war Daum mit Köln Vizemeister geworden, danach Meister mit Stuttgart, dreifacher Vize mit Leverkusen und Meister in der Türkei mit Besiktas und Fenerbahce. Die Berufung zum Bundestrainer 2000 verhinderte die vielschichtig unappetitliche Drogen-Affäre und all ihre Lügen.
Offiziell war er am Montag zurück, verfrüht sogar um 14 Uhr 55, beim öffentlichen Training vor fast 10 000 Menschen im Stadion. Eine erstaunlich nüchterne Veranstaltung. Keine Fanfarenstöße, keine Lightshow, kein Stadionsprecher, nicht mal Geißbock Hennes VII. war gekommen. Nur er, Daum. Kaum hatte er den Rasen betreten, brachen die Wolken auf und die Sonne tauchte die Oberränge in ein warmes Licht. Daum verteilte Namenskritzel, küsste Babys, scherzte, shakerte, posierte. Einmal rief eine fesche Blondine so was wie "Christoph, ich will ein Kind von Dir", und der ganze Block lachte. Vielleicht hatte sie auch gerufen "Christoph, da ist so viel Wind in Dir." Daum lachte mit.
Während der Tribun die Tribünen abschritt, krümmten seine Spieler auf blauen Gymnastikmatten unter Anweisungen der Cotrainer ihre Oberkörper und joggten beifallsbestürmt hin und wieder her. Mit dem letzten Autogramm nach 66 Minuten wies Daum den wartenden Tross per energischem Handkantenwink in die Kabine. Seine einzige Trainingstat. Letztes Blitzlichtgewitter. Und die Sonne legte sich zufrieden schlafen.
Daum spricht von Aufbruch, Ruck, Zukunft, neuen Erfolgen und neuer internationaler Wahrnehmung des FC. Solche Sachen. Peter Klöppel, der RTL-Nachrichtenmann, sieht in Daum "das positive Lebensgefühl im Rheinland" personifiziert. Alttrainer Udo Lattek hält Daum in Köln "für wichtiger als den Dom". Die ersten Fans tragen T-shirts "Mer losse d'r Daum in Kölle".
Köln ist, mit all seinem Nachkriegseinerlei im Stadtbild, dem träge dahinfließenden Rhein in karger Ebene, die hässlichste Stadt auf Erden, die sich je "schönste Stadt der Welt" erdreistete zu nennen, wie es der FC-Stadionsprecher vor jeden Spiel tut. Köln ist so hemmungslos selbstbesoffen, dass nur hier eine solche Hysterie möglich scheint.
Vor dem Stadion brüllt ein etwa Achtjähriger: "Mit dem Messias sind wir unbesiegbar." Sein Vater tätschelt ihm stolz den Kopf. In der überfüllten Straßenbahn nachher redet ein frisch Pubertierender auf seinen Kumpel ein: "Eh, Sascha, Alter, guck mal hier: Der Daum hat meine Hand berührt." Er zeigt dem Freund die Hand. Der guckt ergriffen. "Echt?"
Woanders ist das Image des flatteraugigen Trainers weniger grandios. Daum gilt als Scharlatan, Vielsprecher, als charismatischer Blender. Seine Rückkehr auf Raten nennen Ortsfremde voller Ignoranz eine Posse, doppelte Rolle rückwärts, mediale Amokfahrt, Kölner Krankheit. In München kommentiert Intimfeind Uli Hoeneß, der Manager des FC Bayern, zur Rückkehr: "Ich beiße mir auf die Zunge."
Vom Ostrang wehte beim montäglichen Showtraining das Transparent "Habemus Daum". Christoph Daum wehrt sich gegen solche übernatürlichen Überhöhungen ausdrücklich nicht. Und der Bischof? Lacht man im Dom über soviel Blasphemie oder zürnt man? "Kardinal Meisner möchte dazu nichts sagen", lässt sein Sprecher Stephan Schmidt nach Rücksprache mit Seiner Eminenz wissen. Immerhin weiß man: Meisner ist Fan der Geißböcke und trägt bisweilen einen FC-Schal. "Da kommt man in dieser Stadt ja nicht drum herum", sagt der Sprecher.
Womöglich spürt der Kardinal, dass Daum mehr der Leibhaftige ist denn ein göttliches Wesen. FC-Spieler Thomas Broich gestand nach dem kurzen Auftritt des Motivators in Fürth, er habe sich "wie besessen" gefühlt. Im Spiel hatte Broich dann, wegen seiner feinen Spielweise sonst "Fußball-Mozart" genannt, wie von Sinnen einen Gegenspieler niedergetreten und Rot gesehen. Daum begnadigte den Sünder. Er habe sich in höchster Not für die Mannschaft geopfert. Thomas Wessels, der Torwart, sagt: "Es ist etwas ganz Besonderes, wenn dieser Mann vor einem steht."
Früher ging Christoph Daum barfuß über Scherben und ließ seine Kicker zur Schulung der Willenskraft folgen. Sportlich ging Daum immer über Leichen. Nie setzte er auf kontinuierliche Nachwuchsarbeit, sondern verlangte immer neue, teure Topspieler. Auch jetzt in Köln, das ist Vertragsbestandteil und läuft unter dem Titel "Personalanpassung". Der FC wird sich exzessiv verschulden, nicht nur durch Daums 2,5 Millionen-Gehalt.
So mancher Spieler wird durch die Verstärkung im Winter seinen Job verlieren, zumindest den Stammplatz. Wenn der türkische Abwehrspieler Alpay Özalan euphorisch sagt, mit Daum käme man in die Champions League, dann vergisst er, dass er dann vielleicht schon nicht mehr dabei sein wird.
Daumum habent - sie haben ihren Daum zurück. Und in der fiebrigen Stadt wollen viele irgendeine Rolle bei der Daum-Wiederkehr gespielt haben. Am 11. 11., dem höchsten Feiertag der Stadt, eröffnete Oberbürgermeister Fritz Schramma auf dem Alter Markt die närrische Zeit. Unvermittelt trat er von der Bühne ab, mit dem Hinweis, er müsse "noch mal mit Daum telefonieren". Das Volk johlte. Jetzt tut der ausgewiesene Populist so, als habe er es tatsächlich getan und kokettiert in einem Fernsehbericht mit "einem Geheimnis": Er, Schramma, sei keineswegs überrascht von Daums plötzlicher Umentscheidung. Und warum? Das eben, hoho, sei ja das Geheimnis.
Sehr angetan von Christoph Daum ist die große Kölner Kabarettszene. Winni Rau, Sprecher der Stunksitzung, sagt: Anfangs habe das Hin und Her ja "schon metaphysische Züge gehabt", aber mit der Inthronisation steige "der Entertainment-Faktor ins Unermessliche". Ins neue Stunk-Programm werde man sicher noch eine Daum-Nummer einbasteln, "vielleicht passend zu Jesus Christ Superstar".
Am Dienstag tat Daum erstmal nichts: Private Auswärtstermine, hieß es. Mittwoch begann der Alltag: Viel Training mit Präsenzpflicht in den Pausen. Der Neun-Stunden-Arbeitstag für die verwöhnten Profis sei jetzt eingeführt, rechnete der "Express" vor. Mittwoch und Donnerstag: Geheimtraining! Man wünscht beim FC eine ungestörte Teilhabe der Kicker an Daums spielphilosophischen Betrachtungen und mentaler Zentrierung. Auch wenn der Ausschluss für diejenigen Fans bitter sei, die ihren Lebensmittelpunkt zunehmend zum Geißbockheim verlegt haben.
Im Fanshop des FC gibt es Geißbock-Socken und -Tassen zu "Geiss ist geil"-Preisen, aber noch keine offiziellen Daum-Devotionalien. Kommen sicher am Montag, heißt es. Neue Trikots zum Beispiel und Schals mit der Aufschrift "Herzblut. Willkommen zu Hause, Christoph Daum".
Fußball gibt es auch noch. Am kommenden Montagabend sieht Daumtown das erste offizielle Daumspiel auf dem Weg zum Gewinn der Champions League: Köln, der Zweitliga-Achte, empfängt den MSV Duisburg, Tabellendritter. Alle 50 000 Karten sind längst verkauft. 73 Prozent der Online-Leser des Stadt-Anzeigers sind vom Bundesliga-Aufstieg überzeugt.
Quelle: Berliner Zeitung, 02.12.2006
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