Wenn es wirklich darum gehen soll, wofür der MSV steht, kann die darüber stattfindende Diskussion nicht geführt werden ohne die Frage, wofür die Region noch oder wieder steht, in welcher er derzeit noch eine zureichende Reichweite, einfacher gesagt, eine "Macht", verkörpert. Hier geht es für mich in erster Linie um Widerstandskraft gegenüber bestimmten Entwicklungen, die man aufgrund von einem gemeinsamen Bewusstsein für das gewinnt, woher man kommt, in Verbindung mit einem Begehren oder einer Lust, sich auf eine offene Zukunft zu beziehen, sich nicht im romantischen Klischee zu verlieren. Am stärksten habe ich das dazugehörige Gefühl immer, wenn ich unsere Frauen Fussball arbeiten sehe. Aber gestern Abend haben es auch unsere Männer endlich mal wieder vermittelt.
Am Ende dessen, was man an einem Verein liebt, was das Gemeinschaftsgefühl und -Gefüge ausmacht, wieso man sich wie zuhause fühlt, sobald das Stadion in Sicht kommt (und das eben trotz der Hellmich-Vergangenheit!) steht eine Mischung aus Akzeptanz und Kritik, eine Anpassung, die aber nicht Assimilation ist, ein friedliches Glück, das ständig wieder durch definitives Bedrohtsein aufgerüttelt wird, heftige Emotionalität, die aber auch getröstet und aufgefangen wird. Dieses Spektrum ist an und für sich nicht von der Vereinsgröße abhängig, allerdings kann eine Diskussion im Profibereich darüber überhaupt heute nur noch Sinn machen, wenn man den Faktor Big Money, die von aussen dazukommt, mit einbezieht. Solange der Laden noch intakt ist, wird sich das Hin und Her zwischen Anpassung und Losreissen, letztendlich die Verweigerung der Assimilation, weil einen das als Individuum unsichtbar machen würde, zwangsläufig auf die Sponsoren übertragen. Dass diese zugleich geliebt und gehasst werden, ihr Engagement zugleich Freude und Furcht auslöst, ist ganz einfach der Normalfall.
Für mich ist dann das Entscheidende, dass es kein Overhead eines Sponsorings gibt, das die offene Ambivalenz, die das Anhängerdasein entscheidend prägt, und aus Interesse sowas wie echte Lust und Liebe macht, überschreibt und seinerseits für andere Zwecke assimiliert. Die sind zwar kein Sponsor, aber als Beispiel, wie schrecklich sowas nervt, und im Endeffekt sogar lähmend und zersetzend wirkt, taugt die massive und instinktlose Pusherei von Magenta - Emotionen breitflächig mit dem Schaumlöffel abzuschöpfen, aber nicht mal die Spielernamen richtig aussprechen können, das ist unverschämte, kein bisschen lustige Lüge in einem Bereich, der für viele eine letzte Bastion, ein letzter Safe Space, ein letzter Ort ist, an dem sie noch sich selbst wiederfinden und ausleben können.
Für mich entscheidend beim MSV ist, dass der Losreissprozeß von Hellmich, der mit Sicherheit zu der Art Wegkärcher-Sponsoren gehörte, wie für mich auch Mateschitz und Hopp et al welche sind, eigentlich noch längst nicht vollendet ist. In dem berühmten Churchill-Zitat wird von Ende des Anfangs gesprochen, statt von Anfang des Endes, das man zunächst vermuten könnte, und weiter sehe ich uns nicht entfernt von dem desaströsen Versuch, uns zu entkernen und kernsaniert zum Spielplatz für einen Typen zu machen, der leider, wie sein genauso reichen Kumpel, keinen richtigen Spass an der Pferdezucht gehabt hat. KFC Uerdingen hätte uns gedroht, aber da sind wir raus gekommen. Und im Zusammenhang mit diesem Gelingen habe ich nie wirklich verstanden, wieso man die vielen Ängste, die dort herstammen, immer speziell auf Andreas Rüttgers projiziert hat.
Am Schluss des Ganzen geht es wohl um Diversifizierung. Echte Persönlichkeiten, wie sie unsere Mannschaft aktuell auf dem Platz repräsentieren, und wie sie sich auch durch so tiefe Täler hindurcharbeiten, wie zum Beispiel ein Marvin Bakalorz es im Moment repräsentiert, entstehen in einem Umfeld von extremer Vielfalt, von Mut zum Risiko, der nicht nur ein Lippenbekenntnis von Leuten ist, die nicht wissen, ob sie den neuen Leasing-Porsche mal in flammend rot ordern sollen, sondern aus Notwendigkeiten hervorgeht. Aus der Notwendigkeit, im Leben zu kämpfen, um sich was leisten zu können, aus der Notwendigkeit, Schwächeren ein Helfer zu sein und Stärkeren nicht automatisch ein Untertan. Deshalb sind Projekte wie die Frauenmannschaft, aber auch welche, die aus sozialer Bedürftigkeit hervorgehen, keine kleinen Charity-Aktivitäten, die heute zur Firmencompliance gehören, sondern ein essentielles Bein, auf dem wir stehen. Für mich gehört auch Kritik an Entwicklungen wie der Fussball-WM in Katar ganz sicher dazu, die Auseinandersetzung mit Rassismus und Gewaltbereitschaft.
Klar, gab es früher im Fussball nicht, die Auseinandersetzung damit. Aber früher hat sich der Fussball eben auch mit dem befasst, in das er eingebettet war, und wurde nach dem Spiel darüber geredet, wie es in Rheinhausen weitergeht, mit der Abwicklung des Standortes durch Cromme. Jetzt leben wir in der Welt, wie sie jetzt ist, da sollte Fussball auch das alles abbilden, was die Menschen, die ins Stadion kommen bewegt. Und Sponsoren, denen das zu heikel ist, brauchen wir nicht, sie würden uns schaden. Da sind wir wieder bei der Diskussion von vor Jahren, die auch Rüttgers angestossen hat: Wollen wir überhaupt unter allen Umständen Profifussball, brauchen wir ihn unter allen Umständen, oder kann er sogar unerträglich für uns werden, wenn wir den Preis dafür zahlen müssten, in unserem Stadion nur noch als gerade eben geduldete Füllmasse verklappt zu werden, mit Fangesängen, die eben von Band kommen, wenn wir zu still dasitzen?
Der Unterschied zwischen Anpassung und Assimilation ist ein Ritt auf der Rasierklinge, aber auch die Würze eines jeden Lebens, und erstrecht die Würze beim Leben als Fussballfan. Langer Rede kurzer Sinn, gewissermassen. Gestern abend hat die Mannschaft ein Beispiel dafür geliefert, wie man das in der Balance hält und am Ende den Bock umstösst. Das macht das Leben schön, bis zum nächsten Pflichtspiel. Aber für diese Zwischenräume lebt man, als Fan, oder nicht?!