So, nach rund neun Monaten
Pro Evo steht für mich fest, dass ich in diesem Leben kein
FIFA mehr anrühren werde. Zumindest nicht, wenn
KONAMI weiterhin diese Entwicklung fortsetzt und
FIFA nicht komplett generalüberholt wird.
PES 2017 ist natürlich kein perfektes Spiel, aber auf dem Rasen so meilenweit vor der Konkurrenz, dass man sich wirklich fragt: „Sind die ganzen Fußball-Fans da draußen einfach nur zu faul, mal eine Stunde ihres Lebens für die Beschaffung von Originaldaten zu opfern?! Sind das alles Leute, denen es am Arsch vorbeigeht, ob sich ein Videospiel an der realen Abbildung der geliebten Sportart orientiert?! Sind das Personen, denen unrealistische und unkomplizierte Erfolge mehr bedeuten als fesselnde Herausforderungen?!“ Wer
FIFA spielen will, kann das ja gerne tun. Mich entsetzt nur, dass es so viele Spieler machen, deren Herz eigentlich
PES gehören muss, wenn man ihre Ansprüche als Maßstab nimmt. Die Reihe ist in der öffentlichen Wahrnehmung mehr oder weniger tot und es wird jedes Jahr blind
FIFA gekauft.
Mal ein Beispiel aus meinem Freundeskreis: Die alten
PES-Tage sind legendär. Er hatte es, ich hatte es, jeder hatte es. Ich war damals im stolzen Besitz einer
PS2-Optionsdatei, welche so gut wie möglich alles auf einen originalen Stand brachte. Er hatte die
Xbox, weswegen ich ihm leider keine Kopie anfertigen konnte. Weil er auf dem Platz so viel Freude hatte, editierte er dann immer wieder selbst. Dann versemmelte
KONAMI den Sprung auf die nachfolgende Generation der Konsolen, den
EA wiederum gut bewältigt hat.
FIFA zog mit Recht vorbei und auch er holte es sich nach einigen Jahren ohne aktuellen Titel, nachdem er mit dem älteren
Pro Evo stets glücklich geblieben war. Es folgten Jahre des permanenten Ärgers. Zwar war
FIFA ein gutes Spiel, doch es bot einem immer wieder Anlass zur Aufregung. Online wurden Cheater geradezu eingeladen, wohingegen man der ehrlichen Seite mehr und mehr die Freude nahm. Seltsame Berechnungen von abgekackten Spielen. Zuweisungen von wesentlich stärkeren Teams, obwohl explizit eingestellt wurde, nur Mannschaften auf Augenhöhe zu begegnen. Zu erkaufende Siege für die Online-Statistik. Kein System zur Fairnessbewertung des Gegners, welcher in der Regel munter per Nachricht beleidigte, wenn er das Spiel verlor. Eingeführter Zeitdruck bei der eigenen Aufstellung. Dazu katastrophale Bugs, die in
FIFA 13 ihren Höhepunkt fanden und den Karrieremodus unspielbar machten. Irgendwann regte das alles mehr auf, als dass es noch Freude brachte. Die Spielverläufe total eintönig. Und er und ich, wir Deppen spielten es trotzdem noch und bombardierten uns bei
WhatsApp mit Sprachnachrichten, wenn das Spiel in irgendeiner Hinsicht mal wieder den Vogel abgeschossen hatte. Freundinnen von uns hätten schon jedem Fremden problemlos erklären können, wieso
FIFA der letzte Dreck ist.
Er blieb der Serie trotzdem treu, während ich für eine Saison zu
PES wechselte, obwohl es damals am Boden lag und von vermeintlichen Experten vernichtet wurde. Doch ich war so sauer. dass ich es trotzdem durchzog. Die Engine war damals neu und das Spiel hatte noch einige Probleme mit der Balance. Aber auf einmal hatte ich wieder Spaß am Konsolenfußball. Nicht die immer gleichen Spielsituationen, die man bei
FIFA mehr oder wenig auswendig kannte, sodass es eigentlich nur noch darum ging: Eingespielt sein und wissen, was mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Erfolg führt. Mit wirklichem Aushebeln und Ausspielen des Gegners hatte das nichts zu tun, gegen die CPU schon gar nicht. Auch vollzog ich den endgültigen Wechsel zu
Full Manual, nachdem vorher noch mit halbautomatischer Unterstützung geschossen wurde. Was für eine Erleuchtung! Obwohl ich wegen größerer Freiheit eh schon immer auf die meisten Hilfen verzichtet hatte, kam eine völlig neue Komponente in's Spiel: Genaues Zielen unter dem Druck des Torabschlusses. Ab diesem Zeitpunkt empfand ich das vorherige Spielen samt Errungenschaften nur noch als lächerlich. Was war es eigentlich wert, wenn die CPU deinen Schuss künstlich in's Tor lenkt?! Nichts. Dem Gelegenheitsspieler ohne Ambitionen soll diese Möglichkeit ja nicht genommen werden, wenn er einfach nur Spaß haben will. Doch wer für sich beansprucht, dass er auf dem virtuellen Rasen irgendwas auf dem Kasten hat, der spielt nur mit seinen Fähigkeiten und denen des jeweils gesteuerten Spielers. Ja, daran muss man sich gewöhnen. Aber dann fühlt sich alles wesentlich freier und selbstständiger an. Es ist großartig, wenn man sich wunderschön vor's Tor spielt und dann das leere Gehäuse verfehlt, weil man innerlich schon jubelte und die Präzision nicht mehr gegeben war.
Jedenfalls wäre ich eigentlich schon 2014 bei
PES geblieben, wenn es nicht in der Folgezeit unmöglich gewesen wäre, auf den neuen Konsolen mit originalen Daten zu spielen. Editierte Daten in's Spiel zu bringen, das ist mir nicht zu viel Arbeit. Aber es muss irgendwie gehen. Es wäre erstmal kein Titel mehr geworden, wenn ich nicht die Möglichkeit gehabt hätte,
FIFA umsonst abzugreifen. Erster Eindruck: Tolle Grafik, toller Sound. Für halbwegs realistischen Fußball musste man aber wieder in feinster Kleinarbeit die Slider bemühen. Und dennoch fühlten sich Spiele kaum nach einzigartiger Note an. Taktisch schien jetzt über die Optionen mehr möglich zu sein. Doch schnell hat sich gezeigt, dass die Auswirkungen überschaubar waren. Gibt einem zwar ein gutes Gefühl, wenn man bspw. dem Stürmer die Einstellung verpasst, dass er zentral bleiben soll. Aber wenn ich sowas bestimmen kann, muss es bitteschön auch innerhalb der Partie funktionieren. Ich habe es nicht nur einmal getestet und immer wieder turnte der Mittelstürmer dennoch auf den Flügeln rum. Auch andere Optionen hatten mehr Placeboeffekt. Ich wartete also nur darauf, dass bei
Pro Evo wieder editiert werden kann. Zur aktuellen Version war das der Fall. Meine Eindrücke hatte ich ja damals schon mitgeteilt. Taktisch hatte ein Fußballspiel noch nie so viel Tiefe. CPU-Mannschaften werden durch Taktikregler sehr gut abgebildet. Und auch einem selbst wird die Möglichkeit gegeben, den Fußball zu spielen, den man auch wirklich spielen möchte. Natürlich kann man theoretisch auch bei
FIFA auf Ballbesitz spielen bzw. auf schnelles Umschalten setzen, doch die
KI der Mannschaftskollegen hat dort wenig mit eigenen Vorgaben zu tun. Bei
PES lässt sich dagegen bestimmen, wie Mitspieler ohne den Ball zu agieren haben. Und genau das sieht man dann auch. Auf diesem Gebiet ist das Game brillant. Du hast zumeist einfach nur das Gefühl, dass du für alles verantwortlich bist. Ohne deine Einstellung würden dich jetzt nicht die CPU-Mitspieler beim Gegenpressing unterstützen.
Ich möchte noch kurz auf meinen Freund zurückkommen: Der hatte sich pünktlich zum Release
FIFA gegönnt und immer wieder mal gespielt. Wirklich begeistert klang er nur, wenn er über die originalen Stadien sprach. Im Laufe der Zeit schickte ich ihm Videos von meinem Gameplay, meist kürzere Ausschnitte. Gefiel ihm, aber er sagte mir, dass er sich heutzutage nicht mehr vorstellen kann, ein Spiel mit so dünnen Lizenzen zu kaufen. Also zeigte ich ihm vermehrt Teams, die per Editor in's Spiel kamen und trotzdem echt wirkten. Als
PES dann Anfang des Jahres digital im Sonderangebot erhältlich war, fragte er mich, ob sich der Kauf lohnt und ich ihm bei den Originaldaten helfen kann. Er schlug zu und kam überhaupt nicht rein. „Boah, was ein Fehlkauf“ und
FIFA verdrängte
PES wieder bei ihm. Aber ich bearbeitete ihn weiter, appellierte auch ein wenig an seine Ehre als eigentlicher Fußballexperte und gab ihm die Empfehlung, komplett manuell und mit gedrosselter Spielgeschwindigkeit zu spielen. Also blieb er am Ball und allmählich kam die Begeisterung. Als Ajax ihn wie in der Realität mit Vollgaspressing an die Wand drückte, sprang der Funke endgültig über. Zum Vergleich legte er nochmal
FIFA ein, um es danach bedenkenlos einem anderen Freund zu schenken. Freudestrahlend zeigt er mir jetzt immer wieder Videos seines manuellen Könnens, lässt aber ebenso nicht die Momente des Versagens weg und freut sich darüber einen Ast ab. Zum Running Gag wurde mittlerweile, mir jedes Mal eine kurze Sprachnotiz zu schicken, wenn die Barça-Hymne ertönt - das passiert, wenn man
Pro Evo startet. Ich würde sagen, dass der Mann geheilt worden ist.
Extrem lange Rede, kurzer Sinn: Gebt
Pro Evolution Soccer wieder eine Chance, wenn ihr den echten Fußball mögt. Gerade die Taktiktüfteleien in menschlichen Duellen rufen große Emotionen hervor. Dem Kumpel mit eigenem Gegenpressing schön auf die Eier gehen, wenn er doch nur mal in Ruhe aufbauen will. Der bedankt sich irgendwann mit langen Bällen, die auf einmal irgendwie unangenehm zu verteidigen sind. Wer's mal intensiver anspielt, wird mich garantiert verstehen. Der neue Ableger bekommt auch eine PC-Version, die auf Augenhöhe mit den aktuellen Konsolen liegen wird.