Ich würde unsere Spielanlage auch als reifer ansehen und dem Eindruck widersprechen, der in der Zusammenfassung entstehen kann, dass wir eher durch diszipliniertes Verschieben gegen den Ball, gepaart mit Glück bei fähigen Einzelleistungen, gewonnen haben. Für mich waren die Kickers durchaus eine Referenz. Nominell offensiv ausgerichtet, besetzten sie dennoch beinahe lückenlos alle Räume, zeigten sich zudem sehr gallig. Dass dennoch bei uns was ging, bei denen aber nicht, war halt nicht nur Zufall, sondern ist für mich dem zuzuschreiben, dass unser Umschaltspiel sowohl vorwärts als auch rückwärts mittlerweile richtig gut geworden ist. Ursache dafür ist, dass jeder Akteur durchweg in allen Spielsituationen konzentriert bleibt, die Köpfe hoch genommen werden, das Verschieben und Spiel im Raum ohne Ball mittlerweile auf stets hohem Niveau funktioniert. Lettieri hat hier eine Ansage nach seiner Verpflichtung, dass es ihm in hohem Masse drauf ankommt, die individuelle Situation des einzelnen Spielers ebenso im Auge zu behalten wie diejenige der ganzen Mannschaft, voll umgesetzt. Arbeit, welche sich auszahlt.
Was mir gefällt ist, wie wir Spiele auf verschiedene Arten gewinnen. Gestern durch zwei Traumtore, die aber nicht nach vereinzelten Soloeinlagen irgendwie fielen, sondern nach dem Prinzip "Glück des Tüchtigen" erzielt wurden.
Die Mischung stimmt: wir haben Tempo im Aufbauspiel, Akteure, welche die Übersicht bewahren, und wenn es sein muss, hauen wir kühl hinten alles raus. Musterbeispiel für diese erfreuliche Tendenz ist für mich Steffen Bohl, der gestern einen Innenverteidiger abgab, als würde er schon zehn Jahre auf dieser Position bei uns Stammspieler sein. Der ungestüme Feltscher wurde immer abgesichert, Hajri, zum Teil überambitioniert, konnte problemfrei ersetzt werden, als er sich die Gelbe eingehandelt hatte. Dass wir nach dem Tor mit dem Drang nach vorne etwas nachliessen, konnte man von daher verschmerzen, dass wir es intelligent und hochkonzentriert weiterhin lösten.
Für mich wieder ein überzeugender Sieg, den ich nach unserem Führungstor als kaum je in Gefahr stehend wahrgenommen habe. Im Gegenteil, das dritte Ding wäre eigentlich auch noch fällig gewesen, wenn man sich die innere Logik dieses Spielverlaufes vergegenwärtigt. Wir liessen nie den Zug von der Kette, riskierten aber auch nicht zuviel, vor allem keine Verletzungen in Anbetracht auf die kommende Anzahl an Spielen kurz hintereinander. In dem Zusammenhang war Scheidhauer so ein bisschen das Opfer, er musste eine ganze Weile einfach vorne gegenanrennen und den Spielaufbau stören, ohne an sich viel bewirkt zu haben oder noch bewirken zu können, ein wirklich undankbarer Job für einen Stürmer. Leider hatten wir zu dem Zeitpunkt alles in der Hand, und das Spiel haben gestern andere entschieden, diesmal mit einem Zug ins "Künstlerische". Klasse wahrzunehmen, dass wir auch sowas wieder können. Wer hat bei der Bude von Gardawski nicht an "Torglatze" Baljak gedacht, wer bei Grote nicht an Timo Perthel? Wer hatte nicht das Gefühl, dass unsere mannschaftliche Geschlossenheit und "Spielkultur" sogar höher anzusiedeln ist wie damals, als diese Leute in Duisburg spielten. Bemerkenswert bei Lettieri: die Mischung zwischen "Systemfussball", wo jeder mindestens drei verschiedene Positionen vollgültig ausfüllt und wo die ganze Zeit über rotiert wird, was das Zeug hält, lähmt zu keinem Zeitpunkt die individuelle Initiative. Spielwitz kommt durch Einzelkönnerschaft, die Akteure entfalten ihre Stärken, während ihre Schwächen das "System" kompensiert.
Bayern, klar, der Gedanke kam mir auch, aber im Bezug auf unsere. Nach der zweiten Bude sogar, was mir selten passiert, so sehr, dass ich vom Spielverlauf zeitweise abgelenkt war, und "Schwätzchen" hielt. So eine gewisse Arroganz war nicht zu verhehlen angesichts der zunehmenden Verzweiflung unseres Gegners und dem Bewusstsein davon, dass die gerade eben noch Tabellenführer waren. Damit sollte es aber auch genug sein mit Lobeshymnen.
In der Welt der harten Punkerealität sind wir, klarer Fall, angekommen. Und im Moment, nach einer ziemlich ausgedehnten Orientierungsphase, sind wir sicher eine derjenigen Mannschaften, die zur Zeit die Standards der Liga definiert, insofern es darum geht, weit oben mitzuspielen. Allerdings würde ich das gestrige Spiel auch als eine Wegmarke ansehen, ab der neu gezählt werden wird. Wir gehören nun in der Aussenwahrnehmung sicher zu den Mannschaften, die einen ziemlichen Umbruch (einschliesslich der Veränderung unserer "Spielphilosophie" als solcher) erfolgreich bewältigt und im Hinblick auf die ambitionierten Saisonziele einen alles in allem überzeugenden Saisonstart hingelegt haben. Darüber hinaus haben wir eine gewisse Breite des Kaders erreicht, die bezüglich unserer Perspektiven vielversprechend zu sein scheint.
Ich würde sagen, dass wir nun in eine zweite Phase eintreten, in welcher es vorwiegend darum gehen muss, sich die Kräfte gut einzuteilen, und weiter, die zwangsläufig auf uns zukommende (Mit-) Favoritenrolle auch anzunehmen. Es wird so schnell kein Spiel mehr geben, in welches einer unserer Gegner mit der Einstellung reingeht, einfach mal nach unseren Schwächen zu gucken. Und Erfolge machen nun mal schnell verwöhnt, und angefordert wird dann mehr, und noch mehr. Das braucht noch nicht mal von den Rängen kommen, dass kann sich auch in der Mannschaft selbstständig machen, und aus breiter Brust und Selbstbewusstsein wird dadurch Überheblichkeit. Dass es nicht so kommt, ist eine Qualität, die sich erst noch erweisen muss. Die Zeichen dafür, dass es Leute gibt, die weiter mit ruhiger Hand den Kurs bestimmen und halten, stehen aber mehr als gut.
Es wird jedenfalls keine Grosskotzigkeiten geben, welche von aussen von Vereinsverantwortlichen in die Kabine getragen werden, da kann man ziemlich sicher sein. Und das macht einen wichtigen Unterschied zu früher mal.