Nach längerer Überlegung möchte ich an dieser Stelle einmal die Vereine in Schutz nehmen. Natürlich ist es dem gemeinen Fan schierer Balsam auf der Seele, wenn beispielsweise Union Berlin standhaft bleibt, andererseits aber auch übelriechender Lebertran wenn der eigene Laden zustimmt. Gut, das ist meinetwegen eine Frage der "Ehre", vor allem insoweit, als daß sich enttäuschenderdings gerade der eigene heißgeliebte Club nicht aus den anderen heraushebt. Im Ergebnis ist es erst einmal egal.
Die Beweggründe zuzustimmen waren aber mitnichten dergestalt, daß die zustimmenden Vereine etwa voll und ganz hinter dem Papier, noch weniger an der Begründung für das Zustandekommen des Papiers, stünden, sondern, wie ich glaube, schlicht und einfach das Bedürfnis diese querbeet als lästig und überflüssig empfundene Angelegenheit endlich vom Tisch zu bekommen.
Der zentrale Punkt dieser Geschichte ist nämlich weder "Sicherheit", noch "Fußball", noch "Fanszene", sondern Politik. Politik im Sinne von Wahlkampf. Aus diesem Blickwinkel ist die Sache auch zu bewerten. Die Politik hat "gehandelt" und "Zeichen gesetzt". Die Vereine haben dies mit ihrer Abstimmung zur Kenntnis genommen, die Politik damit zufriedengestellt und können sich nun wieder, dieser lästigen Sachlage entledigt, ihren eigenen Aufgaben zuwenden. Konkrete Änderungen seitens der Vereine wird es im Bezug auf Kontrollen, Auswärtskontingente und dergleichen weiterhin nicht geben. Nicht nur dieses eine Zitat von einem einzelnen Vereinsfünktionär weist darauf hin.
Also eben auf dem Heimweg im Auto SWR 1 Radio an. Aktuelles Thema, natürlich die heutigen Beschlüsse. Dann u.a. Interview mit dem Präsidenten vom VFb Stuttgart. Frage des Reporters, wie sieht das Erlebnis Fussball ab Sommer beim VFB aus ? Antwort : " Im Prinzip wie vorher, wir werden ausser einer neuen Videoanlage nicht groß verändern! Wozu auch, wir haben hier in Stuttgart keine Probleme, das mag andere Vereine betreffen!"
Frage : Müssen sich bei Ihnen die Fans bei Ihnen ausziehen zur Sicherheitskontrolle?
Antwort : "Im Prinzip nicht, bisher gab es so etwas bei uns noch nicht und ich denke, auch zukünftig werden wir das in nur wirklich begründeten Ausnahmefällen machen"
Damit ist auch die wirkliche Relevanz der diskutablen Beschlüsse als nur sehr gering einzustufen und der "Skandal" bleibt, im Hinblick auf die Vereine selbst, im Grunde doch sehr überschaubar. Die bisher geübte Praxis bleibt dieselbe und wenn nun der eine oder andere Ordner besser geschult wird, wird dies der Fankultur keinen Schaden zufügen.
Der eigentliche Skandal ist natürlich die Gängelung des Sports durch die Politik, verbunden mit der wirklich hetzerischen Suggerierung eines Problems, das, durch eine Vielzahl ernsthafter Studien zweifelsfrei belegt, nie eines war, keines ist und auch ohne "Sicherheits-Charta" keines werden würde. Die Politik, wie auch ihr kleiner Bruder, die Medienlandschaften, glaubt alldies übrigens selbst nicht und wird sich, wie bei Wahlkampfthemen und auf den Wahlkampf gerichteten Schnellschüssen allgemein, für die folgenden 12.12 Jahre komplett aus dem angeblich so hochexplosiven Thema zurückziehen. Und die Medien ziehen dabei mit.
Wenn die Fanszene in den nächsten Wochen nicht überdreht (was ich inständigst hoffe!), wird die Anzahl und intensität der Bürgerkriegsberichte vor Ort rapide schwinden. Selbstverständlich wird dabei auch auf die unerhörte Effektivität des nun beschlossenen Katalogs verwiesen, wohl wissend, daß im Grunde seitens der Vereine gar nichts in die Praxis umgesetzt wurde. Soviel zu den direkten tatsächlichen Folgen.
Die weitere und bereits eingetretene Folge ist dann allerdings das, was mir den puren Zorn zwischen die Ohren treibt, nämlich die Tatsache, daß die Politik aus
eigens dafür konstruierten und
selbst geschürten Notwendigkeiten sehr
fragwürdige bis gesetzwidrige Richtlinien einfordern und ganze Gruppen der Bevölkerung unter
Generalverdacht stellen "darf". Ich weiß durchaus, daß ich mit den Begriffen "Reichstagsbrand" und "Notstandsgesetze" bis hin zum "Ermächtigungsgesetz" gewaltig überziehe, sehe aber leider durchaus dennoch tendenzielle Anfangsparallelen.
Nun, der Gefahrenherd "Fußball" ist ja nun vom Tisch. Da bin ich einfach einmal gespannt, welche Pulverfässer nun in das Visier der Staatsmacht geraten. Das Oktoberfest und der Cannstatter Wasen? Die urbane Rush-Hour? Der Winterschlussverkauf?