Ich kann mich an einen Moment erinnern, Saison keine Ahnung, da war es eine Zeremonie mit großer Fahne der Heimmannschaft über den Zaun rüber und am Mittelkreis zu beten! So auch bei diesem Heimspiel von RW gegen uns. Allerdings sind auch von uns die damals üblichen Verdächtigen über den Zaun, haben die Fahne von RW eingesackt ...
Das war zum Ende der Aufstiegssaison 1990/91. Eine unvergessliche Saison mit einem unvergesslichen "Tornado" Tönnies und ein unvergessliches Remis an der immer schon schmuddeligen Essener Hafenstraße.
Meine Erinnerungen an dieses Spiel sind detailreich und frisch. Die damaligen Erlebnisse beim Fußball waren für mich als jungen Bengel jedesmal sehr intensiv und manchmal auch schockierend.
Allein die Fülle und Enge der Ostribüne war unbeschreiblich. Wir hatten bei diesem Spiel einen ominösen Trommler, der plötzlich zu diesem Spiel aus dem Nichts erschien, sich auf den Zaun setzte, die gesamte Gästetribüne mitriss, um danach wieder im Nichts zu verschwinden. Es wurde noch jahrelang über ihn gesprochen, aber sein Auftritt in Essen blieb wohl sein erster und letzter.
Sein und unser Pech war nur, dass wir zu dem von ihm vorgegebenen Takt kaum mitklatschen konnten. Man stand viel zu eng eingekeilt, um noch beim Anfeuern oder Torerfolg die Arme heben zu können. Als Ewald Lienen zum Ausgleich traf, konnte man sich einfach nur nach vorne fallen lassen und fand sich nach Momenten der Ekstase plötzlich "meilenweit" vom ursprünglichen Standort wieder.
Wenn das heimische Wedaustadion voll war oder man auf einer ausverkauften Gästetribüne stand, hatte man vom unbequemen Stehen im Nachgang nicht selten an den aussergewöhnlichsten Stellen Muskelkater. Häufig stand man mit den Hacken noch gerade so auf einer Stufe... Der Rest hing in der Luft.
Damals beim 1-1 in Essen kam es auch zu der Szene, die Einherier beschreibt. Ich habe sie so in Erinnerung, dass vor dem Spiel einige MSV - Fans in der üblichen und auch von den Ordnungskräften lange Zeit geduldeten Manier das Spielfeld stürmten. Lasst es mal zwei bis fünf Leute gewesen sein, die dafür zuständig waren. Keine übermütigen Jugendlichen, sondern meist gestandene Kerle. Manchmal eher so "Rocker-Szene" oder irgendwelche Fanclubs. Hieß einer nicht "Rambo"? Den sieht man sehr selten noch bei brisanten Auswärtsspielen am HBF im mittlerweile fortgeschrittenen Alter rumstehen. Ein vergessener Star der Duisburger Fankurve aus den 80ern und frühren 90ern. So ein hagerer Typ, dessen Verrücktheit seine Faszination ausmachte.
Die Burschen legten an dem Anstoßpunkt zwischen den sich aufwärmenden Spielern feinsäuberlich die Fahne danieder, ließen sich vor dieser auf die Knie fallen und beteten sie demonstrativ an. Das war lange Jahre ein festes Ritual in vielen Fußballstadien. Begleitet wurde der Sturmlauf und die Anbetungszeremonie von frenetischen Jubelgesängen der eigenen Fans. Die "Anbeter" kehrten in die Kurve zurück und wurden wie Helden gefeiert.
Diese Zeremonie an der Hafenstraße durchzuziehen, war schon eine Mutoprobe -zumal der harte Essener Kern ja in Höhe der Mittellinie auf der Gegengeraden stand, während die Gästefans etwas weiter entfernt auf der Osttribüne standen. Aber die Duisburger haben sich in Essen trotz des insbesondere früher heißen Pflasters immer offensiv präsentiert, was ja auch noch heute so ist.
Ich kann mich daran erinnern, dass die Essener die Entweihung ihres Grundes nicht so einfach hinnehmen wollten. Eine ebenfalls kleinere Gruppe kam mit RWE-Fahne auf den Platz, als die Duisburger ihr Werk vollbracht hatten. Sie hatten gerade ihre Fahne ausgelegt, als sich die Duisburger Anbeter auch noch als "Fahnen-Diebe" betätigten. Schwups war die Fahne weg und die Duisburger befanden sich auf einem 50 - Meter - Sprint in Richtung der vor Freude ausrastenden Gästekurve. Die Essener setzen zur Verfolgung an, einige stiegen über die Zäune, sie holten auf, bald hatten sie die Duisburger "Eroberer" erreicht, doch da nahte schon der rettende Zaun der Gästekurve. Sie sprangen samt RWE-Fahne in die offenen Arme der Duisburger auf und vor (!) dem Zaun. Die Fahne war erobert und wurde nun vor den Augen der Essener ihrem Schicksal übergeben.
Die Stimmung in der Gästekurve war triumphal und schon vor Anpfiff des Spiels hatte man so viel Adrenalin ausgeschüttet wie sonst nach einem knackigen 3-2 in letzter Spielminute.
Die Stimmung an der Hafenstraße war von diesem Moment an selbstverständlich noch vergifteter als zuvor. Auch die Spieler hatten diese Szene aus der Nähe beobachtet und die Jungs damals identifizierten sich noch mit ihrem Verein.
So kam es, dass die in der Tabelle weit unter dem MSV platzierten Essener Kicker stark aufspielten und die Zebras in Bedrängnis brachten.
Dann stand das Spiel kurz vor dem Abbruch, als der Linienrichter von der Essener Gegengerade mit Gegenständen beworfen und auch getroffen wurde. Er lag danieder, was heute zu einem sofortigen Spielabbruch geführt hätte. Während der Unterbrechung erhob sich ein minutenlanges "Sch**** RWE" von den Gästerängen, das ich niemals vergessen werde. Die Kurven wurden damals einfach voller als heute gepackt und waren auch aus diesem Grund nicht selten brachial laut.
Einfach eine brachiale Stimmung von beiden Seiten und viele bengalische Feuer trotz des hellen Tageslichts. Doch dann geht Außenseiter Essen 1-0 in Führung. Weltuntergang! Der Aufstieg in Gefahr? Unfassbar, die Gastgeber sorgen fast für einen Spielabbruch und gehen dann auch noch in Führung.
Doch da umkurvt Ewald Lienen schon vor unserer Kurve den Essener Torwart und schiebt schneidig zum Ausgleich ein. Eine Lawine bricht über mich herein und eine Minute später finde ich mich plötzlich 10 Meter weiter unten wieder.
Diese Zeiten damals waren so intensiv und urwüchsig... Wer diese erlebt hat, dem wurde der MSV-Virus so tief eingepflanzt, dass er auch 22 Jahre später und mittlerweile im Internet- und Arenenzeitalter angelangt, immer noch ganz zitterig vor Wut wird, wenn sich irgendjemand erdreistet, unseren Verein zu beleidigen oder gar Schaden zuzufügen -absolut vergleichbar mit dem, was man empfindet, wenn die eigene Familie auf irgendeine Art und Weise angegangen wird. Das wird immer so bleiben und sich niemals verändern. Irgendwie kommt man niemals so ganz in dem Zeitalter der dreimal chemisch Gereinigten an und das ist auch gut so.

Die Zeit bis 1994 war einfach unfassbar toll und prägend!