Der Morgen danach...
Ich bin ganz ehrlich: So ganz kann ich nicht fassen, was da gestern passiert ist. Vielleicht war ich zu hochmütig, weil ich mich mit nichts anderem befassen wollte als mit einem Sieg und der anschließenden Party im Wedaustadion, im Taxi Duisburg oder sonst wo. Bereits um 18:00 Uhr im Stadion eingecheckt, die anbahnende Choreo entdeckt, mit Euphorie den Platz eingenommen, Flutlicht, schon zu diesem Zeitpunkt ein volles Stadion und eine Nord, die die ersten Lieder anstimmt. Alles war angerichtet für diese Party, die schon Aufstiegsfeier-Vibes in sich gehabt hätte.
Dann kam das Spiel, und in meinen Augen hat man in den ersten Minuten schon gespürt: Das wird heute ganz schwer. Man kann mit Einstellung und Mentalität argumentieren – für mich, und so hart ist das Urteil, hat Didi Hirsch und sein Trainerteam abermals ein Spiel vercoacht. So gut wir dastehen und so wenig selbstverständlich das auch ist, er schafft es immer wieder, Rückschläge in der Saison selbst zu fabrizieren.
Was war das bitte in der ersten Halbzeit? JEDER Ball wurde nach vorne gedroschen, einzig und allein hoch und weit – eine Spielphilosophie, die wir schon das ein oder andere Mal gesehen haben. Was war der Matchplan, Coach? Für mich unbegreiflich. Du hast mit Tanju Öztürk und Nico Klaß eines der kopfballstärksten Innenverteidiger-Duos der Liga gegen dich, spielst mit einer Spitze, die zwar körperliche Präsenz mit sich bringt und auch Kopfbälle kann, aber gegen Öztürk und Klaß maßlos überfordert ist. Er hing wortwörtlich in der Luft, und trotzdem wurde der Spielstil immer wieder durchgezogen. Keine Kombinationen, keine spielerische Klasse, keine Flachpässe. Das war mit Abstand das Schlechteste, was ich bisher in dieser Saison gesehen habe. Ich bin kein Taktikexperte, aber für mich war es offensichtlich, dass Hirsch die Zentrale völlig falsch besetzt hat.
Hier wird immer von der Körperlichkeit von Meuer gesprochen – er hat körperlos agiert, er war unsichtbar, hat keinen Zweikampf gewonnen. Nehmen wir mal die zwei Kopfballtore gegen Oberligist Türkspor heraus: Was bringt er für spielerische Qualifikationen mit, die ihn zum Zehner machen? Er ist ein Außenbahnspieler, der selten auch mal im Sturm agiert hat. Von Spieltag zu Spieltag, gerade in Spielen gegen Aufstiegsaspiranten, ist er die Schwachstelle in unserer Zentrale. Will ich ihm einen Vorwurf machen? Nein. Es ist einfach nicht die Position, die er seit seiner Jugend spielt. Dreh- und Angelpunkt im Offensivspiel zu sein, für ein starkes Umschaltspiel zu sorgen, der Stratege in unserem Spiel zu sein – das ist er nicht, und folglich bedient er die Zehn aus einer anderen Perspektive. Aber aus welcher? Diese Rolle kennen nur Didi Hirsch und Marvin Höhner. Mit Meuer hatten wir gestern also einen Spieler, der uns im zentralen Mittelfeld komplett die Präsenz genommen hat. Viel schlimmer war der Auftritt von Kilian Pagliuca.
Sorry, ich habe mich die ganzen Monate zurückgenommen, aber seine Verpflichtung habe ich von Anfang an nicht verstanden. Er ist – und das meine ich wirklich nicht despektierlich – ein Schönwetter-Fußballer, bei dem mir die Wertschätzung für diesen Verein fehlt. Er wirkt mittlerweile besser im Team integriert, aber ich stelle wirklich in Frage, ob er versteht, für was er hier spielt. Das war gestern das x-te Mal, dass ich gesehen habe, wie er als Erster das Stadion verlässt – mit irgendeinem Buddy, nicht mit der Mannschaft. Das typische Zusammensitzen nach dem Spiel mit Familie, Freunden und Angehörigen? Fehlanzeige. Ich will diesen Spieler hier nicht öffentlich an die Wand nageln, aber die Art, wie er dann wieder Fußball gespielt hat – das passt zu diesem eigentlichen MSV-Kader einfach null. Es ist vor allem ein Schlag ins Gesicht gegenüber Bookjans, Tugbenyo, Michelbrink und Co. Er hat sich vor den Bällen versteckt, zwei Grätschen gut gesetzt – ja – war aber fast immer ein Posten, der ebenfalls körperlos agierte und sich als kreativer Achter nie angeboten hat. Warum schafft es Dietmar Hirsch nicht, einen Achter mit Klasse und Entwicklungspotenzial à la Bookjans, Michelbrink oder Tugbenyo auf dieser Position zu etablieren? Warum schafft es Dietmar Hirsch seit Monaten nicht, eine spielerische Komponente zu integrieren? Welcher Trainer hat solche Möglichkeiten? Und dann sieht er in so einem Spiel Pagliuca als prädestinierte Säule in unserem Spiel, die mit Meuer für einen Derbysieg sorgen soll – gerade gegen so körperlich starke Oberhausener? Was hat er sich dabei gedacht?
Ich höre immer wieder, dass Meuer und Pagliuca wegen ihrer Körperlichkeit den Vorzug erhalten. Woran definieren wir diese angebliche körperliche Präsenz? An der Physis und Größe?
Das Paradebeispiel für diesen Nicht-Fußball von Meuer und Pagliuca ist dann das 0:2. Mehr braucht man eigentlich nicht zu argumentieren, um den Spielstil der Jungs zu beschreiben. RWO ist giftig. Der 35-jährige, technisch limitierte und mittlerweile doch langsame Tanju Öztürk (bei allem Respekt, er hat ein sehr starkes Spiel gemacht) erobert sich den Ball, sichert ihn mit einem Dribbling gegen Meuer, der keinerlei Schnitte hat, und spaziert fröhlich an Pagliuca vorbei, der kein bisschen eingreift und die Flanke zum Tor geschehen lässt. Das war so eine unfassbare Szene für mich, dass ich nicht fassen konnte, was ich da sehe. Zu allem Überfluss verliert Egerer noch das entscheidende Kopfballduell, was den Willen der Oberhausener an diesem Tag zelebriert hat. Er wollte diesen Kopfball, er hat alles reingeschmissen, um sich diesen Kopfball zu erarbeiten.
Der MSV hat sich sein lukratives Polster verspielt. Fortuna Köln hat Nachholspiele, Lotte und Rödinghausen nicht zu vergessen. Wir starten jetzt mit einem minimalen, nicht erwähnenswerten Vorsprung, und nun muss die Mannschaft eine RICHTIGE Reaktion zeigen.
Hirsch muss jetzt liefern. Er hat mit Abstand den stärksten Kader der Liga. Langsam reißt mir hier auch der Geduldsfaden. Ich bin kein Erfolgsfan, ich brauche nicht jedes Wochenende einen Sieg, aber ich brauche den Ansatz einer Entwicklung. Mit diesem Kader kann das nicht das Prinzip "gute Hoffnung" sein.
Unser Trainerteam muss jetzt die Ruhe bewahren und die richtigen Entschlüsse ziehen – und genau da liegen meine Sorgen. Ich hatte in dieser Saison, trotz der ganzen Magie, Euphorie und auch starken Siege, noch nicht ein einziges Mal das Gefühl, dass die beste Mannschaft – also mit den höchstmöglichen fußballerischen Qualitäten – auf dem Platz stand. Wenn Hirsch es jetzt nicht schafft, aus diesem Kader die bestmögliche Formation und Strategie herauszuholen, dann wird das am Ende richtig wehtun.