Joachim Hopp war die perfekte Brücke zwischen dem Schwerverbrecher-Team, dass den Aufstieg 1990/91 realisierte und dem Beginn einer neuen Ära, als in Duisburg plötzlich für eine dreiviertel Saison der absurdeste Zauberfußball geboten wurde. Er stand sowohl mit Peter Közle als auch mit Michael Tönnies auf dem Platz. Er spielte mit Bachirou Salou und überlebte fünf Trainer. Für sieben Jahre rannte der Junge aus Meiderich im Dress der Zebras auf und beendete, als er den MSV verließ eine Ära, die in Duisburg bis heute von manchem wehmütig vermisst wird. Die Ära der Straßenkicker, der Jungs vom Hochofen, die morgens malochten und abends trainierten. Was der Schalker Kreisel schon vor einem halben Jahrhundert praktiziert hatte, ging in Duisburg bis in die frühen Neunziger. Hopp löste seinen Vertrag bei Thyssen und widmete sich dem Profigeschäft, welches er mit der ihm eigenen Eleganz zu verzaubern wusste. Als er ging, ging mit ihm der letzte Rest von Tradition.
„Ich bleibe Duisburg treu, weil ich bin hier groß geworden und ich fühl mich einfach wohl hier“. Er sagte dies mit einer Frisur, die selbst für die 80er noch gewagt war. Gelackter Seitenscheitel, die Haut in knusprigem Braun. Ein Hemd, das undefinierbare Muster aufwies und bei längerem Hinsehen zu ernsthaften Erkrankungen führen konnte. Eine Buntfaltenhose, eine Cargohose, die gelebte Lässigkeit. Immer wenn nötig mit Schlappen unterwegs. Joachim Hopp trug schon Flip-Flops als all die Backpacker-Typen noch nicht einmal wussten, wo denn dieses sagenumwobene Thailand überhaupt liegt.
Was Ehrlicheres als Joachim Hopp hat es in Meiderich nie wieder gegeben. Wenn der Verteidiger alter Schule nach einem Fußballspiel anfing, zu reden, erlebte man vielleicht die intensivste Liaison, die ein einzelner Spieler mit den Fans dieses Vereins jemals eingegangen ist. Hopp war so sehr der Junge von der Straße, dass selbst ein Fußballtrikot diesem Image nichts anhaben konnte. Noch im dreckigen, durchgeschwitzten Fußballerdress mutierte er zum Meidericher Ghettokind, dass nach klaren Regeln funktionierte, die da „laufen“ und „kämpfen“ hießen. Das reichte als Anweisung für Hoppi auch vollkommen aus. Nach einem Sieg gegen die Borussia aus Dortmund stand er mit des Gegners Trikot und blutverschmiertem Mund vor der Kamera und wurde gefragt, ob es sich bei diesem schwarz-gelben Leibchen um eine Siegestrophäe handeln würde. Seine Antwort werde ich meinen Kindern aller Wahrscheinlichkeit nach noch als Gute-Nacht-Geschichte vorlesen: „Nee, nee, das ist nur ne kleine Wiedergutmachung, der Chappi hat mir schön die Elle reingejagt, die Lippe ist aufgeplatzt, da hab ich so gesagt: Pass auf, gib mir das Trikot, dann ist die Sache vergessen“.
Was dann über Jahre hinweg durch die Wedau wetzte, war der wahr gewordene Traum aller Fußballnostalgiker. Der Junge aus Meiderich spielte genau den Fußball, den sich die Rentner dieser Stadt immer vorgestellt hatten. „Kämpfen bis zum Umfallen“, und in Hopps Falle wortwörtlich genommen. Nach einem gedrehten Spiel gegen Kaiserslautern stand Joachim Hopp vor der Haupttribüne des Wedau-Stadions, derweil im Hintergrund ein kompletter Block eskalierte. Der Block in schwarz, besetzt mit Menschen, die auch im Sommer noch Handschuhe trugen, nutzte den Vorteil einer überdachten Tribüne und machte nach großem Kampf ein Tamtam, dass der ganze Laden einmal durchwackelte. Hopps Mutation begann vor laufender Kamera: „Ich kann ihnen sagen, die erste Halbzeit hab ich einen Riesenhals gehabt, ganz klarer Elfmeter, nicht gegeben, wir liegen zwei eins zurück, Rückstand aufgeholt und dann noch den Sieg gemacht, eine hervorragende Moral der Truppe…“.
Der Block hinter ihm drehte vollkommen ab. Dreihundert Männer skandierten irgendwas und Hopp bekam es mit, drehte sich um die eigene Achse, Angesicht in Angesicht mit dem Publikum und grölte in die Kamera: „Kompliment an diese Zuschauer, schtanding ovations, schauen sie sich das an, das macht wieder Spaß!“ Als der Reporter die alles entscheidende Frage stellte: „Wie lange braucht man bis der Akku mal wieder auf Normaltemperatur ist?“, empfand Joachim Hopp dies als eine fußballphilosophische Herausforderung, der er sich stellte und die er wild vor sich hin kreischend löste: „Der Akku, der muss jetzt immer voll sein, immer voll durch, wir haben jetzt nur noch drei Spiele, jetzt zählt es, alles oder nichts!“
Und dann verlor er sein Gebiss vor laufender Kamera.
Hopp war ein Kumpel. Er hatte wirklich noch auf dem Hochofen malocht, auf einem der wenigen, die es noch gab. Er hatte nur für kurze Amateurphasen ein wirkliches Parallelleben geführt, aber er hat es getan. Seine Stelle gab er auf, als er ins Profilager wechselte.
Über den Sturmtank Bachirou Salou gab Joachim Hopp vielleicht eine der wirklich poetischsten und brüderlichsten Umschreibungen der Fußballgeschichte: „85 Kilo reine Muskeln, nicht aufzuhalten, wenn die einmal in Bewegung sind, das ist wie nen Kampfhund, den kriegst du nicht mehr weg, da hast du keine Chance mehr, Baschi ging ab wie Schmidts Katze, definitiv“, und ganz Meiderich nickte. Kein anderer hatte diesem Publikum bisher so sehr aus der Seele gesprochen.
Joachim Hopp pflegte immer ein besonderes Verhältnis zu den Fans. Nach einem seiner wenigen Tore konnte ihn niemand davon abhalten, wie ein Irrer auf die Tribüne loszuspurten, wo ganz rechts schon eine Bande wartete, die gerade noch ziemlich erfinderisch gegnerische Spielerfrauen beleidigt hatte. Das waren seine Freunde. Freunde, mit denen er das Bier teilen konnte und deren Sprache er sprach.
Die Zeiten in diesem Block waren äußerst poetische Zeiten, sie haben mich viel gelehrt. Mein Bruder war ein Genie, wenn es darum ging, meinen Vater bei irgendwelchen familiären Deals über den Tisch zu ziehen. Als der MSV in der Saison 1992/93 aufstieg, leierte er meinem Vater Dauerkarten für uns drei aus den Taschen, natürlich in einem Block seiner Wahl, was schon einmal unflätig-pubertären Spaß garantierte. Als wir uns dann ganz rechts auf der Tribüne einfanden, wusste mein Vater zwar nicht so ganz genau, warum hier so super Stimmung herrschte, dachte sich aber nichts weiter. Mein Bruder stand derweil auf seinem Stuhl und forderte die gegnerischen Fans zum Inzest mit ihren Müttern auf, der Rest des Blocks tat es ihm nach.
Zwei Jahre lang begleitete ich die Zebras von diesem Platz aus, nahe an den Gästefans, nahe dran am Geschehen. Auf das Spielfeld hatten wir einen fantastischen Blick und die Stimmung konnte unter dem Dach so ausgelassen sein, wie ich es in der windigen Kurve des alten Wedau-Stadions nie erlebte. Da machte es mir auch nichts aus, dass ein Großteil der Gesänge entweder auf das tierische Dasein oder die sexuelle Orientierung des jeweiligen Gegners hinwiesen.
Und außerdem war es dort lustig. Während einer ziemlich hitzigen Partie gegen Dortmund waren Joachim Hopp und Michael Schulz derartige Freunde geworden, dass man ihnen eine zeitlang beim wechselseitigen Knochenbrechen zugucken durfte. Als der Dortmunder Holzhacker endgültig die Faxen dick hatte und den Duisburger Lokalhelden ins Gras trat, verbrachten Joachim Hopps 500 persönliche Freunde den Rest der Spielzeit damit, den Spieler Schulz so lange zu beleidigen, bis dieser vor laufender Kamera zu Protokoll gab, dass er „derartig viele Idioten in einem Block“ noch nie erlebt hätte; was in Duisburg übrigens auch heute noch als Triumph gilt und nach Meinung vieler auch mit auf den Vereinswimpel gehört.