Ich bin Türke, verinnerliche die türkische Kultur, bin Patriot. Ein deutscher und ein türkischer Patriot. In mir Schlagen zwei Herzen. Ich habe 16 Jahre in Duisburg gewohnt, bin hier zu Schule gegangen, habe hier Abitur gemacht. In meinem Jahrgang in der Grundschule war ich der einzige "Ausländer". Auf dem Gymnasium hatten wir 5 Leute mit Migrantenhintergrund von insgesamt 120 Schülern. Das heißt, ich gehörte zu der Generation, die sich anpassen MUSSTE. Ich hatte nie die Möglichkeit mich auszugrenzen, weil es in meiner Umgebung keine Ausländer gab. Doch trotzdem habe ich auch versucht, meine "eigene" Kultur beizubehalten.
In meiner Familie beherrscht jedes Mitglied die deutsche Sprache, mein Vater beschäftigt 300 Mitarbeiter, Deutsche sowohl auch Ausländer und ist im Rat für Zuwanderung und Integration der Stadt Duisburg tätig. Ich habe mir DUISBURG in die Haut stechen lassen. Mein Bruder ist mit einer Deutschen verlobt. Mehr Integration geht kaum. %80 aller Ausländer in Deutschland sind wie wir. Aber das fällt leider nicht so ins Auge, wie eine Familie, in der keiner ein Wort Deutsch spricht, wo die Eltern Hartz IV Schnorrer sind und die Kinder klauen gehen.
Es ist einfach nur traurig, in welche Richtung das alles geht. Nach dem Abitur 2008 bin ich zurück in meine Heimat ausgewandert. Meine Familie wohnt immer noch in Wanheimerort. Von daher bin ich meistens nur ein Paar Wochen pro Jahr in Duisburg. Bei jedem Besuch wird es schlimmer. Das Stadtbild hat sich in den 6 Jahren so sehr verändert; ich traue meinen Augen kaum. Leerstehende Häuser, geschlossene Läden, Ein-Euro Läden, Abfall überall. Die Straßen voller Leute, die einfach nur "abhängen", ohne Job, ohne Zukunft. Eine neue Art von Deutsch wird gesprochen. "Ey, Alta...schwöre..."...man kennt es ja. Und zwar nicht nur von Türken, Libanesen und Arabern. Nein, sogar Deutsche fangen an so zu sprechen.
Das es so kommt mussten die Verantwortlichen viel früher bemerken. Hüttenheim, Marxloh, Hochfeld etc. wurden nach den 60er Jahren nur zu einem Zweck erbaut: die Isolierung von zugewanderten Gastarbeitern von der deutschen Gesellschaft. Man hat damals überhaupt nicht versucht, diese Leute zu integrieren. Ausländer wurden alle in die gleiche Schulklasse gesteckt. Pflicht war es damals nie, dass man die deutsche Sprache spricht. Man hat von den Leuten damals erhofft, dass alle nach dem Wiederaufbau der Industrie in ihre Heimat zurückkehren. Doch dieser Plan ging nie so richtig auf. Wie kann man von einer Person, die jahrelang in Armut weit weg von der Zivilisation gelebt hat, erwarten, zurückzugehen, nachdem er das boomende Deutschland von damals gesehen hat? Im Gegenteil. Die Familien wurden dazugeholt. Die Anzahl von Zuwandern stieg rapide. Mehr Arbeiter, mehr Industire, mehr Kaufkraft. Kultur und Bildung wurde von vielen nur als zweitranging betrachtet. Es haben sich überall diese Ghettos gebildet. Eine Zweiklassengesellschaft hat sich geformt. Der eine Teil wollte nie so richtig mit dem anderen Teil was zu tun haben. Diese Negletion führte wiederum zu mehr Entfremdung, Isolation und auch Radikalismus. Nach dem Motto: "Wenn ihr uns nicht hierhaben wollt, dann bauen wir uns hier unsere eigene Gesellschaft auf".
Den Politikern ging zu spät das Licht auf, dass man diese Menschen als Teil der deutschen Gesellschaft zu sehen sind anstatt als die "Anderen". Viele neue Projekte wurden geschaffen, viele davon ohne Erfolg weil sehr realitätsfremd. Heute kann keiner von einem neu Zugewandertem in Hüttenheim erwarten Deutsch zu sprechen. Er hat es doch nicht nötig. Nachbar: Türke, Gemüseladen: Türke, Friseur: Türke, Imam: Türke etc etc.
Von daher ist es wichtig, dass man versucht, die ganze Sache aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Das Problem besteht wie man sieht, nicht seit nur ein Paar Jahren, sondern seit Generationen. Es wurde vieles todgeschwiegen. Auch der Aspekt der stagnierenden Wirtschaft trägt zu dieser jetzigen Unmut bei. Ende der 70er und bis Mitte der 80er und um das Millenium rum, wo es Deutschland wirtschaftlich recht gut ging, hat sich doch keiner um die Alis und Ahmets geschert. Der Türke geht zur Arbeit, lässt mich in Ruhe, alles gut. Doch jetzt, wo die Wirtschaft stagniert, die Arbeitslosenquote steigt, die Bildung den Bach runter geht wird vieles radikaler. Letztens auf Facebook bin ich auf das Profil von einem Mitschüler der Grundschule gestoßen. Kumpelhafter Typ damals, ging bei uns ein und aus. Danach hat man sich ein wenig auseinandergelebt. Profilfoto: Glatze, Landser- Tattoo auf dem Arm, Wehrmachtsfotos im Hintergrund. Ziemlich beänstigend, wenn man bedenkt, was für eine Wende das alles genommen hat.
Vieles läuft in diesem Land schief. Gesellschaftlich, politisch, wirtschaftlich. Besonders bei uns in Duisburg wird vieles deutlich. Doch gemacht wird leider sehr wenig. Und dieser "Ostzuwanderung" hat sich die Stadt eine neue Baustelle erschafft, die für alle Beteiligten sehr traurig zu enden droht, falls nicht bald mal ein Verantwortlicher sich in den Vordergrund stellt und das Problem angeht. Falls nicht, gute Nacht.